N66 Wien
Von Fernbusbeziehungen & Entfernung Veröffentlicht in: 01 | TRANSIT
TEXTE
Yannik Stuhr
2/18/20242 min read
Neujahr rauscht an uns vorbei und der Omnibusbahnhof wird zur Waffenverbotszone. Herzrasen in der Duschwanne, klamme Kleidung auf der Wäscheleine, die stetig wachsende Gewissheit. Fernbusbeziehung. Zweisamkeit destilliert auf kurze Wochenenden.
Unser erster Sommer, deine erste Wohnung. Die Sonne brennt das Gummi aus den Dichtungen und vom Marktplatz riecht es nach Gebratenem. Bei offenem Fenster verschlungen - ineinander, in die Welt, in jede Sekunde, die uns bleibt. Tage sind nie lang genug. Die Nachtbahn schickt uns in den Schlaf und gleitet müde ins Depot. Wir beobachten die Tauben über der Destillerie und ich schreibe dir Gedichte darüber. Der Bus ist bald schon wieder da.
In meinem Auto bis nach Dänemark. Zehn Tage nur für uns, keine schnellen Abschiede, keine Angst, kein Bus. Wirklich wir, nur wenn niemand wirklich zuhause ist. Weg vom Alltag kann Realität so schmeichelhaft wirken. Brettspiele mit deiner Familie, Campingstuhl und Billigwein am Strand, der Segelflieger, der sich an das Firmament schmiegt. Wir schlafen in der Mittagshitze auf dem Trampolin ein und wünschen uns, dass jeder Tag so sein könnte.
Unser letzter Winter, deine letzte Nachricht. Ich berichte von Bekannten, die sich trennen und du weinst um uns. Ein Wochenende in Tränen. Regen prasselt wie Gewehrfeuer an deine Fensterscheiben. Freitag, Samstag, Sonntag. Mit jedem Tag werden wir schweigsamer, mit jeder Stunde trauriger. Schlechtes Gewissen, weil ich dich nicht so sehr vermisse, wie du mich. Wortlos liegen wir in deinem Bett und beobachten die Lichter, die die Stadt an deine Zimmerdecke wirft. So taubenleer das Taubenmeer der Destillerie. Die Nachtbahn hält uns wach. Du fragst, ob es okay wäre, wenn ich morgen allein zum Bus gehe.
Meine Freunde betonen immer wieder, wie schwierig das ja sein muss. Sie legen Wert darauf, zu erwähnen, dass sie das ja gar nicht könnten. Krass, wie wir das durchziehen. Sie fragen, wann du mal wieder herkommst. Mal sehen, sage ich, wir hätten ja auch nicht viel Zeit zu zweit. Ich fühle mich gebunden und ungebunden zu gleich. An dich, an mich, an uns. An deine Wohnung, deine Stadt - an meine Wohnung, meine Stadt. Ich fühle mich rastlos und zerrissen. Zerrissen zwischen Orten, Gefühlen und Erwartungen. Zwischen Abschied und Vermissen. Zwischen dem, was ich will und dem, was mir gut tut.
Herzrasen in der Duschwanne. Es fühlt sich an, als wären wir immer nur kurz ins Leben des anderen gereist. Nie wirklich Teil davon. Drei Tage Gefühlsrausch, die zu lang und zu kurz zugleich waren. Wir waren immer unterwegs und sind nie angekommen. Das Miteinander wurde zum Kompromiss, Zweisamkeit zu Sisyphusarbeit. Bloß nicht über Sonntag reden. Erst packen, wenn es fast schon zu spät ist. Immer mehr aufgeben, um noch irgendwas zu bekommen.
Unser letzter Kuss, meine letzte Fahrt. Neujahr rauscht an uns vorbei. Herzrasen in der Duschwanne und das Ende.